Als Fachanwalt für Arbeitsrecht habe ich es relativ häufig mit fristlosen Kündigungen zu tun. Einige Vorstellungen dazu sind ebenso weit verbreitet wie falsch. Ich will versuchen, mit diesem Beitrag die wichtigsten Fakten zusammen zu fassen.
- populärer Rechtsirrtum: Nach 3 Abmahnungen darf immer fristlos gekündigt werden, der Arbeitnehmer hat dann keine Chance
Ein Arbeitsverhältnis kann (übrigens von beiden Parteien) dann fristlos gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum vereinbarten Beendigungstermin nicht mehr zugemutet werden kann. So steht es im Gesetz (§ 626 BGB). Eine Abmahnung ist folglich nicht zwingend erforderlich (auch wenn der Grundsatz gilt, dass vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung abzumahnen ist. Das gilt aber nicht immer. Manchmal kann gleich fristlos gekündigt werden. Bei besonders geringen Verfehlungen muss möglicherweise sogar öfter als 3 Mal abgemahnt werden, z.B. wenn ein Arbeitnehmer alle paar Wochen mal eine Minute zu spät zur Arbeit erscheint).
Das Bundesarbeitsgericht formuliert hier übrigens sehr schön:
Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (vgl. BAG, Urteil vom 10.6.2010, 2 AZR 541/09, RN 34).
Das grundsätzliche Erfordernis einer Abmahnung wird übrigens vom BAG damit begründet, dass eine Kündigung immer verhältnismäßig sein muss, also “ultima ratio”. Es darf kein milderes Mittel geben, um zukünftige Pflichtenverstöße zu verhindern. Und eine Abmahnung führt nach Ansicht der Erfurter Richter dazu, dass der Arbeitnehmer künftig sein Verhalten ändern wird. Tut er dies jedoch – trotz ordnungsgemäßer Abmahnung – nicht und verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen (vgl. BAG, Urteil vom 10.6.2010, 2 AZR 541/09, RN 36).
Deshalb ist der Erfordernis einer (einschlägigen und ordnungsgemäßen) Abmahnung im Kündigungsschutzrecht so wichtig. Ein bereits einschlägig abgemahnter Arbeitnehmer gilt sozusagen als unbelehrbar. In diesem Fall ist eine Kündigung viel “schneller” wirksam, weil es eben offenkundig nicht ausreicht, eine Abmahnung auszusprechen. Dann bleibt logischerweise nur noch eine Kündigung, um zukünftige Pflichtenverstöße zu vermeiden. Und genau darum geht es im Kündigungs(schutz)recht. Es geht um die Verhinderung zukünftiger Verfehlungen.
2. populärer Rechtsirrtum: Es gibt absolut wasserdichte Fälle wo die Sache 100%ig klar ist
Es gibt keine absoluten Kündigungsgründe. Wie eben beschrieben muss zunächst ein “an sich geeigneter” (fristloser) Kündigungsgrund vorliegen. Auf einer zweiten Prüfungsebene erfolgt dann die sog. Interessenabwägung. Es müssen alle Umstände abgewogen werden, die für oder gegen die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses sprechen. Genauer gesagt wird auf dieser Stufe geprüft, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist.
In diese Interessenabwägung sind nach der Rechtsprechung insbesondere einzubeziehen:
- Dauer der beanstandungsfreien Betriebszugehörigkeit (“Vertrauenskonto”)
- Der Grad der Vorwerfbarkeit, die Schwere des Pflichtenverstoßes
- Die Wiederholungsgefahr
- Etwaige Unterhaltspflichten des Arbeitnehemers, allgemein die Folgen für ihn und die Folgen für das Unternehmen duch die Verfehlung
- Alter des betroffenen Arbeitnehmers
- Ausmaß des Vertrauensverlustes
Im berühmt gewordenen Fall der Supermarktkassiererin “Emmely” hat das Bundesarbeitsgericht eine fristlose Kündigung trotz Unterschlagung von Geld aufgrund der geringen Schadenshöhe (EUR 1,30) und der langen beanstandungsfreien Zusammenarbeit für unwirksam erklärt (BAG, Urteil vom 10.6.2010, 2 AZR 541/09).
Auch der sog. Busengrapscher-Fall hat die Öffentlichkeit irritiert. Hier hatte das BAG eine fristlose Kündigung kassiert, nachdem ein Arbeitnehmer einer Reinigungskraft sagte, er bewundere ihren “schönen Busen” und ihr anschließend an selbigen grapschte ( BAG, Urteil v. 20.11.2014, 2 AZR 651/13). Allerdings war dieser Arbeitnehmer in mehr als 15 Jahren nie einschlägig als Belästiger aufgefallen, räumte auf Befragen sofort alles ein und erklärte glaubhaft, es täte ihm furchtbar leid und er schäme sich. Landesarbeitsgericht und Bundesarbeitsgericht kamen zu dem Ergebnis, dass es sich aufgrund der konkreten Umstände um ein Augenblicksversagen (“Black-Out”) handelte und mit ähnlichen Belästigungen zukünftig nicht zu rechnen sei. Der Fall sei insofern nicht mit denjenigen Fällen notorischer Belästiger vergleichbar.
Man sieht also: Es kommt immer auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Das hat nichts mit Willkür zu tun, sondern mit der Pflicht der Gerichte, jeden Fall für sich zu bewerten und nicht pauschale Urteile zu fällen. Oder anders formuliert: Jeder Fall ist anders. In dem einen Fall reicht ein bestimmter Pflichtenverstoß für eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung aus; in dem anderen Fall reicht dieselbe Verfehlung nicht aus. Das ist die Folge der zwingend vorzunehmenden Interessenabwägung. Auf diese Weise können Gerichte ein gerechtes Urteil fällen. Der Nachteil dabei: In der Bevölkerung wird der Eindruck der Beliebigkeit, der Unvorhersehbarkeit gerichtlicher Entscheidungen, gar der Willkür hervorgerufen. Oder noch schlimmer (aber genau so falsch): Man hätte eine Verfehlung in dem obigen Sinne frei.