Muss der Arbeitgeber langzeiterkrankte Arbeitnehmer vor einem Verfall von Urlaubsansprüchen warnen?

Das Problem:

Angenommen, ein Arbeitnehmer ist seit dem 01.01.2018 bis heute durchgängig erkrankt. Es stellt sich die Frage, was mit seinem Urlaubsanspruch ist.

Nach der aktuellen Rechtslage verfällt der Urlaubsanspruch des Jahres 2018 am 31.03.2020. Der des Jahres 2019 am 31.03.2021. Bedeutet: Der Arbeitnehmer hat aktuell den Urlaubsanspruch des Jahres 2020, 2021 (und anteilig für 2022). Am 31.03.2022 verfällt dann der Urlaubsanspruch des Jahres 2020, falls er weiter erkrankt bleibt.

Dies ist das Ergebnis einer langen Entwicklung in der Rechtsprechung (die erheblich vom Europäischen Gerichtshof (“EuGH”) beeinflusst wurde). Wegen der Einzelheiten sprechen Sie mich bitte an, ich will diesen Beitrag hier möglichst einfach halten.

Aktuell gibt es allerdings eine recht „spannende“ Diskussionen zu der Frage, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf den drohenden Urlaubsverfall bei langer Krankheit hinweisen muss. Hier gibt es mittlerweile Urteile von Landesarbeitsgerichten, die das verneinen:

Lan­des­ar­beits­ge­richt Hamm, Ur­teil vom 24.07.2019 – 5 Sa 676/19 und Landesarbeitsgericht Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 15.01.2020 – 7 Sa 284/19.

Im Urteil des LAG Hamm heißt es wörtlich: “Ei­ne Be­leh­rungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers da­hin­ge­hend, dass Ur­laubs­an­sprü­che bei Nicht­i­n­an­spruch­nah­me bis zum 31.12. des Ka­len­der­jah­res oder bis zum 31.03. des Fol­ge­jah­res im Fall der Über­tra­gung er­lö­schen, be­steht bei ei­ner lang­fris­tig er­krank­ten Ar­beit­neh­me­rin nicht; die­se Pflicht be­steht erst wie­der nach Wie­der­ge­ne­sung be­zo­gen auf die kon­kre­ten An­sprü­che der Ar­beit­neh­me­rin.”

Dieser Fall liegt momentan beim BAG. Die Revision beim Bundesarbeitsgericht wurde allerdings noch nicht entschieden, weil das Bundesarbeitsgericht wiederum den europäischen Gerichtshof im Rahmen eines sogenannten Vorabentscheidungsersuchens angerufen hat.

Nach der Rechtsprechung des BAG ist es so, dass nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs trifft. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dazu muss er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – Rn. 39 ff.). Zudem darf der Arbeitgeber, will er seinen Mitwirkungsobliegenheiten genügen, den Arbeitnehmer nicht in sonstiger Weise daran hindern, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht.

Außerdem ist es nach dem BAG so, dass der gesetzliche Urlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG nicht verfällt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist und es ihm deshalb nicht möglich ist, den Urlaub zu nehmen. Der aufrechterhaltene Urlaubsanspruch tritt in diesem Fall zu dem im Folgejahr entstandenen Urlaubsanspruch hinzu und ist damit erneut nach § 7 Abs. 3 BUrlG befristet. Er erlischt allerdings bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres.

Das BAG sagt außerdem ganz eindeutig:

Hat der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt und war es dem Arbeitnehmer bis zum 31. März des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres allein aufgrund durchgehend bestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht möglich, den Urlaub zu nehmen, ist § 7 Abs. 3 BUrlG richtlinienkonform dahin auszulegen, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt. Dies betrifft den Urlaub für Urlaubsjahre, in denen der Arbeitnehmer durchgehend arbeitsunfähig krank war und deshalb – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten erfüllt hat – überhaupt keinen Urlaub nehmen konnte. Auch in diesem Fall ist von besonderen Umständen auszugehen, die den Verfall des Urlaubsanspruchs rechtfertigen.

Das Vorabentscheidungsersuchen bezieht sich nun sozusagen auf das Jahr, in dem die erkrankte Arbeitnehmerin theoretisch noch hätte Urlaub nehmen können. Sie wurde nämlich erst Mitte des Jahres 2017 (dann aber durchgehend) krank:

“Für die Entscheidung des Rechtstreits bedarf es einer Klärung durch den Gerichtshof, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubs-jahres oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht erfüllt hat und der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest noch teilweise hätte nehmen können.

Das sind hier übrigens die beiden Fragen des BAG an den EuGH:

  1. Stehen Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Auslegung einer nationalen Regelung wie § 7 Abs. 3 BUrlG entgegen, der zufolge der bisher nicht erfüllte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines im Verlauf des Urlaubsjahres arbeitsunfähig erkrankten Arbeitnehmers, der den Urlaub vor Beginn seiner Erkrankung im Urlaubsjahr – zumindest teilweise – noch hätte nehmen können, bei ununterbrochen fortbestehender Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres auch in dem Fall erlischt, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben?
  2. Sofern die Frage zu 1. bejaht wird: Ist unter diesen Voraussetzungen bei fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auch ein Verfall zu einem späteren Zeitpunkt ausgeschlossen?

Entgegen der Kommentierung etlicher Kollegen im Internet geht es meines Erachtens nicht um die grundsätzliche Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen Langzeiterkrankter bei fehlendem Warnhinweis durch den Arbeitgeber, sondern um das Urlaubsjahr, in dem der betroffene Arbeitnehmer theoretisch noch Urlaub hätte nehmen können.

Meine Meinung: Es ist zwar richtig, dass ein Arbeitnehmer, der Mitte des Jahres langfristig erkrankt, im “ersten” Krankheitsjahr theoretisch hätte Urlaub nehmen können. Aber doch denklogisch nur bis zum Zeitpunkt seiner Erkrankung. Danach ist er krank und offenkundig gehindert, Urlaub zu nehmen. Welchen Sinn soll es machen, dass der Arbeitgeber ihn jetzt auffordert, seinen Resturlaub zu nehmen und ihn vor dem Urlaubsverfall nach der oben dargelegten Rechtsprechung warnt? Der Arbeitnehmer kann es schließlich nicht ändern oder irgendwie beeinflussen. Er kann nicht noch schnell einen Urlaubsantrag stellen oder schnell gesund werden, um dem Verfall zu begegnen. Er ist krank und muss abwarten, bis er wieder gesund ist. Dann muss man sehen, wie viele Urlaubsansprüche er noch hat. Ich würde es als pure Förmelei betrachten, wenn der EuGH an dieser Stelle etwas anderes urteilen würde, kann es aber logischerweise auch nicht ausschließen. Wir werden sehen.

Zu den Einzelheiten: Gordon Neumann, Fachanwalt für Arbeitsrecht, 040-32809780

Schreibe einen Kommentar