Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 5.12.2019, 2 AZR 107/19) hatte sich kürzlich mal wieder mit einem Fall auseinanderzusetzen, wo eine Arbeitnehmerin in einem sog. Kleinbetrieb gekündigt wurde. Neben der gekündigten Arbeitnehmerin war nur noch eine weitere Person beschäftigt.
Es wurde eine fristlose Kündigung, hilfsweise eine ordentliche Kündigung ausgesprochen.
Das spannende an dieser Entscheidung: Das BAG musste sich mit der Frage auseinandersetzen, wie es sich auswirkt, dass ein Arbeitgeber erst nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung entsprechende Vorwürfe erfindet. Ob also das “Kündigungsverhalten” des Arbeitgebers auf die – hilfsweise erklärte – ordentliche Kündigung durchschlägt. So nach dem Motto: “Wer die Gründe für eine fristlose Kündigung nur erfindet, um diese im Prozess sozusagen irgendwie zu rechtfertigen, macht damit die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung gleich mit unwirksam.”
Kann das Kündigungsverhalten (also das, was der Arbeitgeber nach Ausspruch der Kündigung macht) diese Kündigung tatsächlich unwirksam machen, obwohl sie sozusagen ursprünglich ohne weiteres wirksam war?
Da es sich vorliegend um einen Kleinbetrieb handelt, kann sich die Arbeitnehmerin nicht auf das Kündigungsschutzgesetz berufen. Das kann man nämlich nur, wenn der Arbeitgeber regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer in Vollzeit beschäftigt.
Was die Arbeitnehmerin (genauer ihr Rechtsanwalt) allerdings richtig erkannt hat ist der Umstand, dass ein gekündigter Arbeitnehmer trotz Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes nicht vollständig schutzlos ist.
Ohne das jetzt im einzelnen dogmatisch herleiten zu wollen, liegt das am Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG). Dieser verfassungsrechtliche Schutz wird im Kündigungsschutzrecht dadurch gewährleistet, dass sittenwidrige Kündigungen oder solche, die gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, unwirksam sind. In dem Zusammenhang kommt es also nicht darauf an, ob das Kündigungsschutzgesetz greift oder nicht.
Eine Kündigung wäre sittenwidrig, wenn ein besonders verwerfliches Verhalten des Arbeitgebers vorliegt. Die Verwerflichkeit ergibt sich aus dem mit der Kündigung verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln oder der zutage tretenden Gesinnung.
Bundesverfassungsgericht und Bundesarbeitsgericht haben herausgearbeitet, dass es außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes vor allem darum geht, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen.
Das Bundesarbeitsgericht hat im erwähnten Urteil sauber herausgearbeitet, dass der Willkürvorwurf ausscheide, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Kündigung vorliegt. Ein solcher Grund kann nach ständiger Rechtsprechung des BAG auch sein, dass der Arbeitgeber (noch einmal: eines Kleinbetriebs!) das Vertrauen in den betreffenden Arbeitnehmer verloren hat. Dabei komme es nicht darauf an, dass dieser Vertrauensverlust “objektiv verifizierbar” wäre.
Mit meinen simplen Worten: Im Kleinbetrieb genügt es aus Arbeitgebersicht, wenn irgendwelche Umstände vorgefallen sind, die zu einem Vertrauensverlust des Arbeitgebers geführt haben. Der Arbeitgeber muss keinen (objektiven) Beweis dafür erbringen, dass die jeweiligen Umstände tatsächlich vorlagen und bei ihm zum Vertrauensverlust geführt haben. Abzugrenzen ist das von Rachsucht oder Vergeltung.
Im vorliegenden Fall ging es um eine “Nanny” in einem Privathaushalt. Der Arbeitgeberin (der Mutter des zu betreuenden Kindes) wurde zugetragen, dass die betreffende Arbeitnehmerin über diese behauptet hat, sie sei praktisch nie zu Hause und wenn doch einmal schließe sie sich in ihrem Zimmer ein und esse nur Schokolade mit ihrer Tochter (!).
Das BAG hat gesagt, dass diese Äußerungen unter die Meinungsfreiheit fallen. Das schützt aber nicht vor einer (ordentlichen) Kündigung. Immerhin handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis im besonders geschützten Bereich der Privatsphäre der Arbeitgeberin, nämlich ihrem Haushalt. Das BAG lässt es mit anderen Worten ausreichen, dass die Arbeitgeberin im vorliegenden Fall vorträgt, das Vertrauen verloren zu haben.
Übrigens hat das BAG auch geprüft, ob die Kündigung möglicherweise sitten- oder treuwidrig ist, weil der Arbeitnehmerin keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Das ist aber nicht der Fall. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist nur bei einer Verdachtskündigung im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes Wirksamkeitsvoraussetzung.
Zur oben erwähnten Frage, wie sich das Kündigungsverhalten auswirkt, hat das BAG nur kurz festgestellt:
Der erst nach Vornahme eines Rechtsgeschäfts gefasste Vorsatz, dieses im Rahmen eines zwischenzeitlich anhängigen Rechtsstreits unter Verletzung der prozessualen Wahrheitspflicht aus § 138 Abs. 1 ZPO zu verteidigen, kann sich ggf. als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung iSv. § 826 BGB darstellen (zu der es hier im Übrigen nicht gekommen ist, weil die außerordentliche Kündigung bereits erstinstanzlich rechtskräftig für unwirksam befunden wurde). Er kann aber nicht eine Kündigung rückwirkend nichtig machen, deren Wirksamkeit als Gestaltungsrecht sich im Zeitpunkt ihres Zugangs bestimmt (BAG 18. Oktober 2012 – 6 AZR 41/11 – Rn. 66). Das gilt auch für die Beurteilung ihrer Sittenwidrigkeit.
Oder in meinen Worten: Für die Frage der Wirksamkeit einer Kündigung kommt es in zeitlicher Hinsicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Was danach geschieht, kann eine Kündigung weder wirksam noch unwirksam machen. Also auch nicht das sogenannte Kündigungsverhalten im Zusammenhang mit einer fristlosen Kündigung. Dieses schlägt ausdrücklich nicht auf die (hilfsweise erklärte) ordentliche Kündigung durch.
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Gordon Neumann, Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht, spezialisiert auf Kündigung, bzw. Kündigungsschutz (und Aufhebungsvertrag)