Dass es immer wieder Probleme mit Krankschreibungen gibt, liegt auf der Hand. Aus meiner anwaltlichen Praxis sind dies die häufigsten Gründe:
1.) Arbeitnehmer meldet sich nicht unverzüglich beim Arbeitgeber und zeigt seine Arbeitsunfähigkeit (also seine Erkrankung) zu spät an.
2.) Arbeitnehmer legt die AU-Bescheinigung (den berühmt-berüchtigten gelben Schein) nicht rechtzeitig vor.
3.) Arbeitgeber hat Zweifel am Vorliegen einer Erkrankung.
Zu den ersten beiden Themen habe ich bereits an anderer Stelle etwas gesagt. Mit diesem Beitrag geht es mir um ein relativ neues Phänomen, nämlich die Krankschreibung ohne Arztbesuch. Wie ist da die Rechtslage?
Es gibt mittlerweile Firmen, die im Internet damit werben, dass ein Arbeitnehmer mit wenigen Klicks zu einer Krankschreibung kommt. Das soll dann nur “wenige Minuten” dauern.
Dabei findet dann offenbar ein Videogespräch statt (“Videocall”) und anschließend gibt es dann die Krankschreibung, die AU-Bescheinigung (“gelber Schein”) direkt aufs Handy. Und das Ganze wird momentan offenbar einigermaßen problemlos von der Krankenkasse bezahlt (sofern man gesetzlich krankenversichert ist), wobei es auch die Möglichkeit gibt, die Kosten als sog. Selbstzahler zu tragen.
Ist so eine AU-Bescheinigung rechtlich “wirksam”? Ist diese Vorgehensweise zulässig und wird der “gelbe Schein” vom Arbeitgeber anerkannt?
Meine Auffassung dazu lautet:
1.) Wir sprechen von § 5 Entgeltfortzahlungsgesetz. Dort heißt es: ” Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als in der Bescheinigung angegeben, ist der Arbeitnehmer verpflichtet, eine neue ärztliche Bescheinigung vorzulegen.”
Man sieht: Es gibt im Gesetz keine Formvorschrift. Vorgegeben ist danach lediglich, dass die Bescheinigung vom (behandelnden) Arzt stammen muss. Dabei darf sich der Arbeitnehmer jeden Arzt aussuchen, den er möchte (“freie Arztwahl”), also auch einen Arzt eines Internet-Dienstleisters. Dieser muss nicht zwingend ein Kassenarzt sein (also ein Arzt, der für die Versorgung gesetzlich Krankenversicherter zugelassen, ein sog. Vertragsarzt). Es kann jeder Arzt sein, also auch ein Arzt, der nur privat abrechnen darf (weil er eben keine Zulassung als Kassenarzt hat).
2.) Es gibt bei Kassenärzten eine Besonderheit zu beachten. Die Regularien einer Krankschreibung für gesetzlich Versicherte wurden vom sog. Gemeinsamen Bundesausschuss (= “G-BA”) festgelegt. Kassenärzte müssen danach für die hier in FRede stehende “ärztliche Bescheinnigung” des § 5 EFZG ein bestimmtes Formular verwenden. Dieses hat eine gelbe Farbe, jeder kennt es.
Privatärzte müssen kein spezielles Formular verwenden. Es wäre daher theoretisch denkbar, dass ein Privatarzt die Arbeitsunfähigkeit auf einem normalen Blatt Papier bescheinigt. das wäre zunächst einmal völlig in Ordnung, das Gesetz spricht lediglich von einer “ärztlichen Bescheinigung”.
Zwischenergebnis:
a) Arbeitgeber können die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall also zunächst einmal nicht mit dem Argument verweigern, es läge kein ordnungsgemäßes “AU-Formular” vor.
b) Nach der Rechtsprechung darf die Lohnfortzahlung allerdings so lange zurückgehalten werden, bis eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit vorgelegt wird (sofern eine solche Pflicht überhaupt besteht, also jedenfalls – Abweichungen nach “unten” sind möglich – bei einer mindestens 4 Tage andauernden Erkrankung).
3.) Reicht ein digitales (PDF-)Dokument auf dem Handy aus, das der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber weiterleitet?
Das Problem stellte sich bislang nicht. Es gibt die Auffassung, dass sich aus § 5 EFZG (= “ärztliche Bescheinigung“) ergäbe, dass es sich um eine eigenhändig unterschriebene schriftliche Erklärung des behandelnden Arztes handeln müsse.
Wenn das tatsächlich erforderlich wäre für eine ordnungsgemäße AU-Bescheinigung, würde das PDF, das der Arbeitnehmer aufs Handy bekommt, nicht ausreichen.
Meine Meinung: Das Gesetz (§ 5 Entgeltfortzahlungsgesetz) sagt nichts zu den Einzelheiten einer AU-Bescheinigung. Ich halte es aber nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift für erforderlich, dass ein Papierstück mit eigenhändiger Namensunterschrift des Arztes erforderlich ist. Daran ändert m.E. auch die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem 1. Januar 2022 durch das sog. Bürokratieentlastungsgesetz III, das der Bundestag am 18. September 2019 beschlossen hat, nichts. Auch danach bleibt es im Verhältnis Arzt-Patient bei der bisherigen Lage, das neue Gesetz betrifft insofern nur das Verhältnis Krankenkasse-Arbeitgeber. Letzterer erhält dann die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sozusagen automatisch (genauer: durch Abruf, den er selber initiieren muss) von der Krankenkasse. Der Patient erhält von seinem Arzt aber weiterhin ein Schriftstück.
Zwischenergebnis: Im Moment reicht es meines Erachtens nicht aus, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber lediglich ein elektronisches Dokument übersendet.
Wichtig: Wie ist der Beweiswert einer elektronischen AU-Bescheinigung?
Diese Frage dürfte die Arbeitsvertragsparteien wohl viel mehr interessieren. Wenn man ehrlich ist, ist das doch für Arbeitgeber die entscheidende Frage: Muss ich die Vergütung weiter zahlen, obwohl der Arbeitnehmer – wegen Krankheit – nicht gearbeitet hat? Und dann legt der Arbeitnehmer auch noch zum “Beweis” seiner Erkrankung eine digitale Krankschreibung vor.
Zu dieser Frage nehme ich aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit in einem separaten Beitrag Stellung.