Ich werde immer wieder auf ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm angesprochen. Dort sei etwas aufsehenerregend Neues zur Frage der Verhinderung eines BR-Mitglieds entschieden worden. Manche sagen auch, dass “erhöhtes Arbeitsaufkommen” neuerdings ein anerkannter Verhinderung wäre.
Höchste Zeit also, einmal etwas Ordnung zu schaffen.
Zunächst einmal:
Nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG rückt ein Ersatzmitglied nach, wenn ein Verhinderungsfall vorliegt. Das ist unstreitig der Fall bei Urlaub, Krankheit, Elternzeit, Schulungsmaßnahme/Seminarbesuch, Dienstreise im Ausland.
Kein Verhinderungsgrund ist Vergesslichkeit, arbeitsfrei, ein voller Schreibtisch, zu viel zu zun.
Jetzt die Entscheidung des LAG Hamm vom 08.12.2017 (13 TaBV 72/17): https://www.justiz.nrw.de/nrwe/arbgs/hamm/lag_hamm/j2017/13_TaBV_72_17_Beschluss_20171208.html
Das Problem war hier, dass sich BR-Mitglieder abgemeldet hatten und zur Begründung ein erhöhtes Arbeitsaufkommen angeführt hatten.
Eigentlich ist die Rechtslage ja einfach:
1.) Die Amtspflicht hat Vorrang vor der Arbeitspflicht.
2.) Ausnahme: Das MR-Mitglied ist an seinem Arbeitsplatz unabkömmlich, z.B. wegen eines Notfalls oder zur Erledigung eines unaufschiebbaren Kundenauftrages.
3.) Das betreffende BR-Mitglied entscheidet selbst in eigener Verantwortung nach ordnungsgemäßer Abwägung, ob eine solche anerkannte Ausnahme vorliegt.
Das BAG sieht es bislang immer so, dass die Entscheidung in der Verantwortung des jeweiligen Betriebsratsmitglieds liegt und der/die Betriebsratsvorsitzende ohne eigene Ermittlungen davon ausgehen darf, dass sich das BR-Mitglied ordnungsgemäß unter Beachtung der geltenden Rechtslage entschieden hat.
Nur wenn Anhaltspunkte für eine pflichtwidrige Entscheidung des jeweiligen Betriebsratsmitgliedes vorliegen, kann Veranlassung bestehen, den angegebenen Hinderungsgrund nachzuprüfen und ggf. auf die Ladung eines Ersatzmitgliedes zu verzichten (Fitting, 29. Aufl., § 25 Rn. 21; siehe zum vergleichbaren Fall eines ehrenamtlichen Richters: BAG, 14.12.2010 – 1 ABR 19/10 – AP TVG § 2 Tariffähigkeit Nr. 6).
Im Fall des LAG Hamm hatten sich die
Betriebsratsmitglieder auf die Erledigung von Arbeitsaufgaben berufen. Das
Gericht sagt nun folgendes:
“Es wäre nun Aufgabe des Betriebsratsvorsitzenden
gewesen, darzulegen, welche konkreten Anhaltspunkte ihm für ein
pflichtwidriges Verhalten der beiden von ihm geladenen Amtsträger vorgelegen
haben, die ihn dazu veranlasst haben, … darauf zu verzichten, die
kurzfristige Ladung anderer vorhandener Ersatzmitglieder zu versuchen, und
statt dessen die Sitzung nur mit sieben statt neun Betriebsratsmitgliedern
abzuhalten. Da dies nicht geschehen ist, war von der Unwirksamkeit des nur von
sieben Betriebsratsmitgliedern gefassten Beschlusses auszugehen.”
Ich verstehe die Entscheidung des Gerichts so, dass das Problem die fehlende Dokumentation ist. Im Prozess konnte der BR-Vorsitzende offenbar nicht nachweisen, warum genau er Zweifel am Vorliegen einer Verhinderung hatte.
Die simple Begründung „erhöhtes Arbeitsaufkommen“ rechtfertigt m.E. unzweifelhaft nicht das Fernbleiben von der Betriebsratssitzung. Erhöhtes Arbeitsaufkommen ist kein Fall der (tatsächlichen) Verhinderung.
Im Verfahren vor dem LAG Hamm konnte aber offenbar nicht vom BR-Vorsitzenden nachgewiesen werden, dass es wirklich diese Begründung war, die die beiden fehlenden BR-Mitglieder gegeben hatten. Vielleicht ging das Gericht ja auch davon aus, dass der angeführte Verhinderungsgrund “Erledigung von Arbeitsaufgaben” auch bedeuten könnte, dass das BR-MItglied unabkömmlich ist. Dann wiederum wäre es ja ein Verhinderungsgrund, siehe oben. Der BR-Vorsitzende hätte wohl – so verstehe ich das LAG Hamm – weitere Ermittlungen anstellen müssen, um zu prüfen, ob es wirklich nur “viel Arbeit” oder “Notfall/Unabkömmlichkeit” ist.
Was ist denn jetzt nun das Fazit, was lehrt uns das?
Wie lautet die konkrete Empfehlung an den/die Betriebsratsvorsitzende(n)?
a) Die einen sagen, es sollte stets ein Ersatzmitglied
geladen werden. Anschließend fasst das Gremium dann einfach 2 Beschlüsse,
einmal mit Ersatzmitglied und einmal ohne.
Andere unterscheiden nach den Gründen:
b) BR-Mitglied nennt keine Gründe: Hier läge immer ein Grund vor, an der pflichtgemäßen Entscheidung zu zweifeln, sodass diese Stimmen empfehlen, aktiv den Hinderungsgrund zu erfragen. Wenn kein Ersatzmitglied geladen werden soll, sollte der/die BR-Vorsitzende ihre/seine Entscheidung möglichst genau dokumentieren und dies zu Protokoll nehmen.
c) BR-Mitglied nennt Verhinderungsgrund, der sicher keiner ist (z.B. “Hab keinen Bock”): Hier wird empfohlen, die konkreten Anhaltspunkte, die beim BR-Vorsitzenden dazu führen, dass er von einem in Wahrheit nicht vorliegenden Verhinderungsgrund ausgeht, näher darzulegen und zu dokumentieren und das ins Protokoll aufzunehmen. Siehe LAG-Hamm-Fall.
d) BR-Mitglied nennt “wasserdichten” Verhinderungsgrund (z.B. Krankheit): BR-V darf sich (weiterhin) darauf verlassen, dass dieser Grund tatsächlich vorliegt. Er muss keine Nachforschungen anstellen (sich z.B. die AU-Bescheinigung zeigen lassen). Die Gründe sollten aber wieder ganz genau dokumentiert werden! Wenn der BR-V allerdings Zweifel hat, gilt wieder das oben Gesagte: Dann sollten Nachforschungen angestellt und alles ganz genau dokumentiert werden (besonders wichtig, wenn er sich gegen eine Nachladung entscheidet).
e) Allgemeine Empfehlung: Man regelt allgemein die Pflicht, sich mittels Formular abzumelden. Auf diesem Formular könnte man die “anerkannten” Verhinderungsgründe zum Ankreuzen vorgeben. Ganz wichtig wäre dann die Möglichkeit, dass das Betriebsratsmitglied angibt, die bestehende Pflichtenkollision zwischen Amtspflicht und Arbeitspflicht gesehen zu haben (und es sich gleichwohl unter Wahrung der von ihm eingegangenen Verpflichtung zur gewissenhaften Amtsführung ordnungsgemäß dazu entschieden hat, die Arbeit zu erbringen). Dieses Formular sollte dann entsprechend in der nächsten Betriebsratssitzung zu Protokoll genommen werden.