Entgeltgleichheit von Männern und Frauen / Equal Pay-Grundsatz – aufsehenerregende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Was war passiert?

Das Bundesarbeitsgericht hat am 16.02.2023 ein Urteil gefällt und eine Pressemitteilung dazu veröffentlicht. Danach war es so:

Eine Arbeitnehmerin hatte 2017 als Außendienstlerin (Vertrieb) bei einem Arbeitgeber angefangen. Man vereinbarte ein Grundentgelt i.H.v. EUR 3.500,00 brutto.

Neben ihr waren dort auch zwei männliche Arbeitnehmer beschäftigt, einer fing nur 2 Monate vor ihr an. Diesem hatte der Arbeitgeber ebenfalls EUR 3.500,00 brutto angeboten. Nur dass dieser (männliche) Arbeitnehmer dankend ablehnte und stattdessen EUR 4.500,00 brutto forderte (und auch bekam).

Die weiteren Einzelheiten lasse ich für diesen Beitrag weg, es ging dabei um die Anwendung eines Haustarifvertrags usw..

Die besagte Arbeitnehmerin verlangte, dasselbe Entgelt (nach-)gezahlt zu bekommen wie der (fast zeitgleich mit ihr eingestellte) männliche Kollege. Außerdem machte sie einen Entschädigungsanspruch geltend. Sie beruft sich darauf, dieselbe Arbeit wie der männliche Kollege zu verrichten und wegen des Geschlechts benachteilt worden zu sein.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage jeweils abgewiesen. Vor dem Bundesarbeitsgericht hatte die Arbeitnehmerin nun weitgehend Erfolg. Die Erfurter Richter sprachen ihr (rückwirkende) Lohnansprüche im Umfang von EUR 14.500,00 brutto und EUR 2.000,00 Entschädigung wegen einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts zu.

Wie hat das Gericht das Urteil begründet?

Der Arbeitgeber hat wohl (soweit aus der Pressemitteilung ersichtlich) die Ungleichbehandlung damit begründet, dass der Mann schlechterdings besser verhandelt hätte. Außerdem hat der Arbeitgeber wohl argumentiert, der Mann sei einer besser vergüteten Arbeitnehmerin nachgefolgt.

Der 8. Senat des BAG hat sinngemäß geurteilt, dass mit diesen beiden Argumenten nicht die Vermutung der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts widerlegt werden konnte. Das muss man erklären:

Es gibt eine Vorschrift, die vereinfacht gesagt folgendes besagt: Wenn Indizien für eine unzulässige Benachteiligung vorliegen, dann muss der Arbeitgeber beweisen, dass es in Wahrheit nicht so war. Ihn trifft anders formuliert die Beweislast dafür, dass es zwar nach außen hin “verdächtig” ausgesehen hat, es in Wahrheit aber ganz anders war als es aussah.

Beispiel: Der Arbeitgeber schaltet eine Stellenanzeige, in der er ausdrücklich einen jungen Mann sucht. Dies stellt ein Indiz dafür dar, dass ältere Frauen benachteiligt wurden. Der Arbeitgeber verliert den Prozess, wenn er das Gericht nicht davon überzeugen kann, dass er in Wahrheit gar keine älteren Frauen benachteiligt hat. Dieser Beweis dürfte in der Praxis nur schwer gelingen. Allerdings ist es nicht unmöglich!

Bezogen auf den Fall des BAG: Es sieht “verdächtig” aus, dass die Frau EUR 1.000,00 brutto weniger für dieselbe Arbeit bekommt, wie der männliche Kollege. Mit dem Vortrag, der Mann hätte besser verhandelt als die Frau, konnte der Arbeitgeber diese Vermutung nicht entkräften, bzw. widerlegen. Warum nicht, geht aus der Pressemitteilung nicht hervor. Dafür muss man nun die genauen Urteilsgründe abwarten. Übrigens konnte der Arbeitgeber die Vermutung der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts auch nicht mit dem Argument widerlegen, der (besser bezahlte) männliche Kollege sei einer besser vergüteten, ausgeschiedenen Kollegin nachgefolgt.

Mein Fazit:

Dieses Urteil wird hohe Wellen schlagen (wenn es das nicht sogar bereits getan hat). Viele Kommentatoren werden die Urteilsgründe nicht abwarten und schon jetzt pauschal behaupten, dass individuelle Gehaltsverhandlungen zukünftig keine Rolle mehr spielen, wenn es um den “Equal Pay-Grundsatz” ginge.

Richtig ist daran meiner Meinung nach, dass eine Ungleichbehandlung nur erlaubt ist, wenn es objektive, sachlich nachvollziehbare Gründe dafür gibt. Unstreitig rechtfertigen beispielsweise eine unterschiedliche Berufserfahrung und eine unterschiedliche Qualifikation eine unterschiedliche Vergütung.

Dass im vorliegenden Fall solche objektiven Kriterien für die (unstreitig vorliegende) unterschiedliche Entlohnung bestanden, konnte der Arbeitgeber offensichtlich nicht beweisen. Dem BAG hat es augenscheinlich nicht gereicht, dass der Arbeitgeber auf das bessere Verhandlungsgeschick des männlichen Kollegen verwies. Warum das dem Gericht zu wenig war, um von einer gerechtfertigten Ungleichbehandlung auszugehen, wissen wir im Moment (noch) nicht. Insofern müssen erst die genauen Urteilsgründe abgewartet werden, bis man die pauschale Aussage treffen darf: “Der Equal Pay-Grundsatz ist nicht verhandelbar”. Denn es kann sein, dass sich aus den Urteilsgründen ergibt, dass es sich um eine individuelle Einzelfallentscheidung handelt (und nicht um die generelle Aussage, dass individuelle Gehaltsverhandlungen keine geeigneten objektiven Unterscheidungsgründe (für eine unterschiedlich hohe Vergütung für dieselbe Arbeit) darstellen.

Nebenbei bemerkt: Dies ist nach meiner Auffassung sowieso eine unzulässige Verkürzung. Natürlich ist eine (ungerechtfertigte) Ungleichbehandlung, eine ungerechtfertigte Entgeltbenachteiligung (beispielsweise wegen des Geschlechts), nicht verhandelbar. Das war es vor dem Urteil nicht und ist es danach nicht. Die große Frage lautet nur, ob es zukünftig wirklich überhaupt keine Rolle spielt, dass Arbeitnehmer ihr Gehalt unterschiedlich verhandeln. Wenn das wirklich so wäre, könnten sich zukünftig etliche Arbeitnehmer (m/w/d) ermutigt fühlen, Differenzlohnansprüche (und eine Entschädigung) einzufordern, wenn sie dieselbe Arbeit verrichten wie ein Kollege des anderen Geschlechts. Immer dann, wenn die Vergütung nicht aufgrund eines Tarifvertrags erfolgt, dürfte es regelmäßig zu Unterschieden in der Vergütung kommen. Und dann greift wie gesagt die oben dargestellte Vermutungsregel und den Arbeitgeber trifft die Beweislast dafür, dass es für die ungleiche Vergütung einen (ausreichenden) sachlichen Differenzierungsgrund gibt (der dann nicht in dem unterschiedlichen Verhandlungsgeschick bestehen darf).

Warum ein Arbeitgeber diese zukünftig nicht (mehr) damit rechtfertigen darf, die besser bezahlten Arbeitnehmer hätten besser verhandelt und man wollte einen bestimmten Arbeitnehmer unbedingt für sich gewinnen, erschließt sich mir nicht, erst recht nicht nach der jetzt vorliegenden Pressemitteilung. Insofern bin ich auf die genaue Begründung des BAG gespannt.

Sollte übrigens der Arbeitgeber in dem Verfahren nicht konkret dargelegt haben, wie lange die Stelle, die er unbedingt mit dem Mann besetzen wollte, zu dem Zeitpunkt bereits unbesetzt war, würde das m.E. einiges erklären. Es gibt Gerüchte, die das behaupten. Ich kann das nicht beurteilen, ich war nicht dabei. Aber wenn es tatsächlich stimmen sollte, leuchtet mir ein, warum das dem BAG zu wenig war. So etwas lässt sich schließlich ganz einfach behaupten. Man muss das in einem Prozess schon substantiiert vortragen, damit sich die Gegenseite entsprechend dazu äußern kann und das Gericht dem auch in der gebotenen Form nachgehen kann. Es reicht nicht aus, eine Begründung nur pauschal in den Raum zu stellen und nicht näher auszuführen.

Abschließend sei mir der Hinweis gestattet, dass der gesetzliche Anspruch auf gleiches Entgelt bei gleicher Arbeit natürlich vollkommen richtig ist. Ich habe nur gewisse Bauchschmerzen damit, wie man den Grundsatz der Vertragsfreiheit damit in Einklang bringen kann. Ich sehe das Problem natürlich auch. Wenn es stimmt, was ich hierzu gelesen habe, dass es Studien gibt, wonach Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen das Gehalt schlechter verhandeln (können), ist das ein Ärgernis. Ich bin nur nicht sicher, wie man dieses Manko in der Praxis am besten bekämpft, bzw. abstellt.

Und was wäre denn eigentlich, wenn ein Mann eine ungerechtfertigte Entgeltbenachteiligung geltend macht und der Arbeitgeber diese damit begründet, dass die weibliche Kollegin besser verhandelt hätte? Dann greift das Argument mit dem Studienergebnis nicht. Ich kann mir nicht helfen, bei mir bleibt ein gewisses Störgefühl, dass es wirklich zukünftig nicht mehr auf das Verhandlungsgeschick ankommen soll.

Welche Lösung haben Sie für das Problem des “Gender Pay Gap”, liebe Leser? Verraten Sie es gerne über die Kommentar-Funktion.

Gordon Neumann, Fachanwalt für Arbeitsrecht

für WNS Will-Partner Fachanwälte|Rechtsanwälte mbB

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Februar 2023 – 8 AZR 450/21 –

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