Betriebsratsmitglieder und die 11-stündige Ruhezeit. Anspruch auf Einhaltung, “notfalls” durch bezahlte Freistellung?

Besprechung von Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2017 – Az. 7: AZR 224/15

Als Fachanwalt für Arbeitsrecht befasse ich mich auch vertieft mit dem sogenannten Kollektivarbeitsrecht. Eine Rechtsmaterie, die viele Anwälte nicht besonders mögen. Ich dafür umso mehr. Egal.

In einem anderen Beitrag (hier) hatte ich bereits auf ein sehr wichtiges Urteil des Bundesarbeitsgerichts hingewiesen, in dem es um die Frage ging, wie sich folgendes auswirkt:

Ich habe heute Nachtschicht und ab morgen eine Woche frei. Morgen findet zwischen 08:00 und 15:00 Uhr eine BR-Sitzung statt an der ich teilnehme. Der Arbeitgeber stellt mich heute bezahlt 8 Stunden lang frei. Ist die Teilnahme morgen vergütungspflichtige Arbeitszeit?

Ob es Arbeitszeit ist, sagt uns das BAG zwar nicht, aber dafür, dass die Teilnahme ganz “normal” vergütet werden muss (BAG vom 15.05.2019, 7 AZR 397/17). Es wirkt sich also mit anderen Worten nicht aus, dass bereits unmittelbar vor der BR-Sitzung 8 Stunden lang bezahlt freigestellt wurde.

Etwas früher (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.01.2017 – Az. 7: AZR 224/15) hatte das höchste deutsche Arbeitsgericht schon Gelegenheit, etwas zu der Frage zu sagen, ob denn ein BR-Mitglied eigentlich einen Anspruch darauf hat, in der Nachtschicht vor einer BR-Sitzung (bezahlt) freigestellt zu werden. Oder anders formuliert: Was ist eigentlich mit der gesetzlichen Ruhezeit nach § 5 ArbZG?

Die Vorschrift lautet in Absatz 1 bekanntlich:

(1) Die Arbeitnehmer müssen nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden haben.

Wie wäre also folgender Fall zu entscheiden?

Sie sind nicht freigestelltes Betriebsratsmitglied, Anlagenbediener im Dreischichtbetrieb. Sie sind für eine Nachtschicht von 22.00 Uhr bis 06.00 Uhr eingeteilt. Am Folgetag findet zwischen 13:00 und 15:30 Uhr eine Betriebsratssitzung statt, an der Sie als Betriebsratsmitglied (in der Freizeit) teilnehmen.

In dem entschiedenen Fall war es lustigerweise so, dass das – offenbar recht selbstbewusste – Betriebsratsmitglied um 02.30 Uhr die Nachtschicht verließ (also 11,5 Stunden vor dem Start der BR-Sitzung) und vom Arbeitgeber Vergütung für die Zeit zwischen 02:30 Uhr und 06:00 Uhr verlangte. Das Argument war, dass der Arbeitgeber unter Fortzahlung des Entgelts von der beruflichen Tätigkeit befreien müsse, damit die vorgeschriebene elfstündige Ruhezeit zwischen Nachtschicht und Betriebsratssitzung eingehalten werden könne.

Klar ist die gesetzliche Regelung des § 37 Abs. 2 BetrVG:

(2) Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.

Das BAG (Urteil vom 18.01.2017 – Az.: 7 AZR 224/15) versteht die Vorschrift so, dass Mitglieder des Betriebsrats von ihrer beruflichen Tätigkeit (ohne Minderung des Arbeitsentgelts) zu befreien sind, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar macht.

Hier liegt der Hund begraben. Unmöglich wäre es natürlich nicht, nach der Nachtschicht noch mal eben ein paar Stunden BR-Sitzung zu machen (und kurz darauf womöglich wieder zur Nachtschicht zu gehen). Aber ist es auch zumutbar?

Und diese Frage haben die Erfurter höchsten deutschen Arbeitsrichter eindeutig beantwortet:

Nein, denn bei der Frage der Zumutbarkeit müsse man sich an den Regeln der Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) orientieren. Und da steht nun mal drin, dass ein Arbeitnehmer zwischen zwei Arbeitsschichten Anspruch auf eine Ruhezeit von 11 Stunden hat. Und das gilt logischerweise auch für Betriebsratsmitglieder.

Das BAG hat insofern nicht entscheiden müssen, ob BR-Tätigkeit im Rechtssinne Arbeitszeit darstellt. Wäre es so, würde das ArbZG direkt, also unmittelbar, anwendbar sein. Logisch. Dann wäre zwischen Nachtschicht und BR-Sitzung sozusagen “zwischen zwei Arbeitsschichten”. Die Frage kann nach dem BAG offen bleiben, weil es für ein BR-Mitglied unzumutbar ist, wenn zwischen Schicht und BR-Sitzung nicht 11 Stunden Pause ist.

Unter dem Strich ist es eigentlich auch wurscht.

Abschließend will ich der Vollständigkeit halber noch die Bedenken/Gegenargumente aufführen, die in dem Zusammenhang vorgebracht wurden:

  • Nach § 37 Abs. 1 BetrVG ist das Betriebsratsamt ein Ehrenamt und keine “Arbeit”
  • Das Arbeitszeitgesetz richtet sich an den Arbeitgeber und verbietet diesem, seine Befugnisse (z.B. Weisungsrecht) länger als erlaubt auszuüben. Es verbietet dem Arbeitnehmer nicht, sich ehrenamtlich zu engagieren. An der Vorstandssitzung seines Sportvereins dürfte ein Arbeitnehmer “problemlos” zwischen zwei Schichten teilnehmen, ohne eine Ruhezeit einzuhalten.
  • Es bringt gewisse Schwierigkeiten mit sich, wenn BR-Tätigkeit wirklich immer streng nach ArbZG “abgewickelt” wird. Was, wenn eine BR-Sitzung unerwartet lange dauert? Ein BR-Mitglied arbeitet 2-3 Stunden und geht danach zur BR-Sitzung. Muss er die Sitzung nun wirklich nach 5-6 Stunden verlassen? Was ist mit Sozialplanverhandlungen, die bekanntlich öfter lange dauern?
  • Wie soll der Arbeitgeber die Vorgaben des ArbZG einhalten, wenn er während der Betriebsratstätigkeit logischerweise keinen Einfluss hat. Ein Arbeitgeber kann ja schlecht in eine BR-Sitzung stürmen und einzelne Mitglieder nach Hause schicken, weil er sonst (strafbewehrt!) gegen das Gesetz, nämlich das Arbeitszeitgesetz, verstieße.

Insofern mein Fazit: Das Urteil erscheint logisch und richtig. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass es – wie so oft – dann doch nicht immer so leicht ist, wie es auf den ersten Blick scheint.

Bei Fragen stehe ich gerne zur Verfügung. Benutzen Sie auch gerne die Kommentar-Funktion.

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