Fällt “Bahnsurfen” unter den Wegeunfallversicherungsschutz?

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Arbeitnehmer und beispielsweise auch Schüler sind gesetzlich unfallversichert auf dem Weg zur Arbeit/Schule und zurück. Grundsätzlich.

Nun fuhr im Januar 2015 ein knapp 16-jähriger Schüler von der Schule mit der Regionalbahn nach Hause. So weit, so unspektakulär. Jetzt kommt aber die Besonderheit des heute (30.03.2023) vom Bundessozialgericht (=”BSG”) entschiedenen Falls (BSG, Urteil vom 30.03.2023, B 2 U 3/21 R).

Der Schüler verschaffte sich Zutritt zur Lok und kletterte auf das Dach. Wo er (irgendwie konsequenterweise) einen Stromschlag erlitt. Und sich schwer verletzte.

Und was macht man dann? Genau. Ansprüche gegen die gesetzliche Unfallversicherung geltend mit dem Argument, es sei ein Unfall auf dem Weg von der Schule nach Hause.

Die Vorinstanzen fanden das offenbar wenig überzeugend und haben die Klage abgewiesen. Vor dem Bundessozialgericht hat der Schüler heute jedoch Erfolg gehabt. Ausweislich des heute bekannt gewordenen Presseberichts über die heutige Sitzung des 2. Senats fiel dieser Fall in die Fallgruppe “spielerische Betätigungen im Rahmen schülergruppendynamischer Prozesse”. Der Schüler wollte eben cool sein und weil er in der Vergangenheit schon mehrfach auf Bahnen “surfte”, ist er sorglos geworden und hat sich selbst überschätzt. Dadurch sei in ihm Vertrauen entstanden, dass es auch diesmal gut gehen würde. Dass es das aber diesmal nicht ging, lässt – so das höchste deutsche Sozialgericht – den (gesetzlichen) Unfallversicherungsschutz nicht entfallen. Es handele sich immer noch um eine Gruppendynamik und der Umstand, dass sich hier eine selbst geschaffene Gefahr verwirklich hat, schließe den Versicherungsschutz nicht aus.

Na dann. Meine Sorge besteht darin, dass mit diesem Urteil der fatale (und offenkundig grundfalsche!) Eindruck entstehen könnte, Bahnsurfen wäre eigentlich gar nicht so schlimm und einigermaßen normal. Und wenn mal was schief geht (hier: hochgradige Verbrennungen von ca. 35% der Haut) greift die gesetzliche Unfallversicherung. Ich weiß, dass das BSG diese Aussage (natürlich!) nicht treffen wollte. Ich fürchte nur, in den einschlägigen Kreisen könnte der oben beschriebene Eindruck entstehen.

Was halten Sie von diesem Urteil, liebe Leser?

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und für Medizinrecht Gordon Neumann für WNS Will + Partner Fachanwälte | Rechtsanwälte mbB (0151-51767180)